Einsamkeit insbesondere bei Jugendlichen. Hintergründe, aktuelle Befunde, Präventionsstrategien und Perspektiven vor, während und nach der Corona-Pandemie

Nachfolgend finden Sie die vollständige Literaturliste zum Beitrag von Andreas Hillert, Adrian Schug und Sophia Hillert „Einsamkeit insbesondere bei Jugendlichen. Hintergründe, aktuelle Befunde, Präventionsstrategien und Perspektiven vor, während und nach der Corona-Pandemie“ aus der CORAX-Ausgabe 1/2021.

Einzelkämpfer*innen

Nachfolgend finden Sie die ausführlichen Interviews mit Christoph Gottmann und Peg Koedel aus der CORAX-Ausgabe 1/2021:

Interview mit Christoph Gottmann – Sozialpädagoge B.A. aus Kassel, zuletzt Gewerkschaftssekretär bei ver.di und Referent für Kinder- und Jugendpolitik für die Linksfraktion im Bundestag tätig. Vorstandsmitglied der Gilde Soziale Arbeit e. V. und aktiv im Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit (AKS)

Sie haben für einen gewissen Zeitraum als relativ junger Gewerkschaftssekretär auf Bundesebene gearbeitet und den Job dann aber wieder abgelegt.

Ja genau, ich war nun genau 11 Monate als Gewerkschaftssekretär in der Bundesverwaltung von ver.di für die sog. Bundesfachgruppe Sozial-, Kinder-, und Jugendhilfe aktiv. Ich habe diesen Job letztlich aus gesundheitlichen Gründen beendet. Der Workload in einer solchen Position ist immens und Mensch sollte auch die Bereitschaft mitbringen, sich für die Sache aufzuopfern. Grundsätzlich brachte ich diese zwar mit, wenn aber die gewerkschaftlichen Ideale (z. B. das Eintreten für Arbeits- und Gesundheitsschutz) in denen eigenen Strukturen nicht so ernst genommen werden, komme ich an meine Grenzen.

Welche Themen bzw. Anliegen haben Sie versucht einzubringen?

Ich versuchte meine vielfältigen Praxiserfahrungen in verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit in die professionspolitische Arbeit einzubringen. Angefangen bei Kritik an der m. E. fehlgeleiteten Reform des KJHG, über die Bewusstseinsbildung für die massiven Probleme in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit während der Pandemie bis zu Ansätzen, Beschäftigte besser analog und digital zu vernetzen und ihren Stimmen Ausdruck zu verleihen.

Fühlten Sie sich hier als Einzelkämpfer*in und wie genau zeichnet sich dieser Zustand aus?

Grundsätzlich empfand ich das Gefühl des Einzelkämpfers eher selten, was insbesondere meinen großartigen haupt- und ehrenamtlichen Kolleg*innen zu verdanken ist, die mich solidarisch unterstützten. An einigen Stellen geriet ich jedoch mit den m. E. teils verkrusteten Strukturen der Organisation in Konflikt. So scheint es gängige Praxis zu sein, dass Gewerkschaftssekretär*innen in ihrer Arbeitsweise weitgehend autonom agieren können. Mit der Pandemie und dem Herunterfahren des öffentlichen und beruflichen Lebens ergab sich die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit und dem Teilen von Wissen. Ich stieß mit meinen Anliegen und Vorschlägen immer wieder auf taube Ohren – die Bereitschaft sich Zeit zu nehmen und gemeinsam zu überlegen, wie mit den veränderten Arbeitsbedingungen umgegangen werden kann, war nie gegeben. Das führte bei mir, auch angesichts der verfügbaren Ressourcen von ver.di, immer wieder zu Frustration. Ein weiterer Punkt, den ich bis heute nicht nachvollziehen kann, ist eine gewisse Überheblichkeit, die von der Organisation ausgeht. Zwar ist unbestreitbar, dass ver.di mit ihrer Größe und ihrem weitreichenden Einfluss die wichtigste Organisation für professionspolitische Angelegenheiten der Sozialen Arbeit ist bzw. sein sollte. Dass man während dieser Pandemie, die in allen Bereichen der Sozialen Arbeit offenlegte, wie stiefmütterlich die öffentliche Daseinsfürsorge von Politik und Wirtschaft bedacht und behandelt wird, auf traditionelle Abgrenzungslinien zu anderen Organisationen beharrt, die für „dieselbe Sache“ streiten, ist m. E. „der Sache“, einer dringend benötigten gesellschaftlichen Aufwertung der Sozial-, Erziehungs-, und Gesundheitsberufe, nicht dienlich.

Mit welchen Anstrengungen sind Sie als Einzelkämpfer*in konfrontiert und welchen Belastungen sind Sie ausgesetzt gewesen?

Das fing bei lästigen und langwierigen Telefonkonferenzen an. Während die Mitbewohner*innen meiner WG (auch alle im Homeoffice) sich bereits im März 2020 in Videokonferenzen begegneten, dauerte es bei ver.di noch Monate, bis die nötige Infrastruktur geschaffen wurde. Während des ganzen Jahres wurde ich das Gefühl des „Gehetztseins“ nicht los. Ohne Frage war die Gewerkschaft für ihre Mitglieder, Beschäftigte und für jede*n da. An dieser Stelle ein wunderschönes Praxisbeispiel aus der „Corona-Hotline“ von ver.di, die zu Fragen der Kurzarbeit, Arbeitnehmer*innenrechte uvm. beriet. Ich hatte eine ältere Dame in der Leitung, die mit Nachdruck „doch endlich“ ihren „Mann von der Steuer“ sprechen wollte. Sie fragte, wie sie denn da hinkäme, denn bei der üblichen Nummer sei nur eine Bandansage mit dem Hinweis auf die zentrale Corona-Hotline. In geduldiger Kleinarbeit konnte ich die Frau zwar „nur“ weiterverweisen, spürte jedoch, dass es ihr guttat, sich auch über die aktuellen Vorgänge auslassen zu können. Innerhalb der Strukturen war aber auch ein hoher Druck spürbar – ein Flugblatt folgte auf das nächste; auf eine Mobilisierungskampagne in der Sozialen Arbeit folgte fast nahtlos die Tarifkampagne im öffentlichen Dienst. Die Arbeit teils im Homeoffice, teils im Büro in Berlin lief dann fast ausschließlich digital ab. Bei allem Verständnis und bei aller Zustimmung dafür, dass Gewerkschaftsarbeit am besten in der direkten Begegnung stattfindet, mussten wir uns alle an die neuen Formate gewöhnen und das Beste daraus machen. In zahlreichen wöchentlichen Meetings der hauptamtlich Beschäftigten hörte ich stets Wehklagen, wie anstrengend diese doch seien, was ich auch so empfand. Dass in dieser Situation kontinuierlich stundenlange Meetings ohne oder nur mit kurzen Pausen (5-15 Minuten) „durchgezogen“ wurden, widersprach meines Erachtens nicht nur der Vernunft. Als dann im Herbst 2020 der lange erwartete Referent*innenentwurf zur Reform des KJHG, meinem Herzensthema, veröffentlicht wurde, zeigte mir mein Körper die Grenzen auf. Diagnose: Überlastung. Es ging nicht mehr. Auf ärztliches Geheiß folgten 4 Wochen Krankheitsphase, um wieder auf die Beine zu kommen. „Auskuriert“ startete ich wieder, um nach 1,5 Wochen den nächsten Rückschlag zu erleben. Diagnose: Bandscheibenvorfall. Die folgenden Wochen zuhause oder in der Physiotherapie überdachte ich dieses zurückliegende Jahr und kam zum Entschluss, dass dieses Betätigungsfeld langfristig für mich zu ungesund sein würde. Daraufhin verließ ich die ver.di- Bundesverwaltung zum Jahresende.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen bzw. was haben Sie angegangen, um diesen Zustand zu ändern?

Beim „Wünsch-dir-was-Konzert“ könnte ich wahrlich viele Lieder singen, ich will es an dieser Stelle auf einige knappe Bereiche beschränken. Auf persönlicher Ebene die Wiederherstellung meiner Gesundheit und die Beendigung meines Master-Studiums, das ich für meine letzten beiden Beschäftigungen unterbrochen und nun wieder aufgenommen habe. Was ver.di angeht, so wünsche ich mir, dass mehr Menschen, insbesondere Beschäftigten in der Sozialen Arbeit, deutlich wird, dass es ohne Gewerkschaften keine gesellschaftliche Aufwertung der Sozialen Arbeit geben wird. Wir müssen unser politisches Mandat (s. Definition Sozialer Arbeit) wahrnehmen und uns auch im Sinne der Menschen, mit denen wir arbeiten, organisieren und klar machen, dass: Auf politischer Ebene sollten die Bedürfnisse und Bedarfe der Gesellschaft und unseres Planeten immer Priorität vor Wirtschaftsinteressen und insbesondere vor dem Wirtschaftswachstum haben. Der Erhalt unserer Lebensgrundlagen und eine solidarische Ressourcenverteilung müssen endlich, auch für die Soziale Arbeit, zur Leitlinie des gemeinsamen Handelns werden.

Interview mit Peg Koedel – Southeast Asian Ministers of Education Organization, Regional Center for Education Innovation and Technology, Consultant for digital education, knowledge management and game based learning

Seit längerer Zeit stehen Sie für Medienbildung in entsprechenden Gremien ein und bringen dieses auch in den Fachdiskurs. Fühlen Sie sich hier als Einzelkämpfer*in und wie genau zeichnet sich dieser Zustand aus?

Der Begriff „Einzelkämpferin“ klingt sehr harsch, aber beschreibt meine Jahre zwischen 2008 und 2018 eigentlich sehr gut. Es war irgendwie immer „kämpfen“. Nicht mit den Teilnehmenden an meinen Projekten, immer nur mit dem Drumherum.

Vielleicht ein kleiner Rückblick… Ich habe schon sehr früh mit Programmieren und Fotografieren angefangen. Die Mädchen waren im Nadelarbeitskurs, die Jungs im Programmierkurs. Ich war in beiden. Als AG in der Schule habe ich analoge Fotografie belegt. D. h. wir haben Bilder entwickeln gelernt. Mich faszinierte Technologie, sei es Hardware oder Software, schon sehr sehr früh. Ich glaube, es begann alles mit einer Sprachpuppe, deren Sprachmodul kaputt war und ich dieses unbedingt wieder reparieren wollte … Ich war 4! … Danach habe ich in regelmäßigen Abständen Wecker und Radios „zerstört“ um herauszubekommen, wie die Dinger funktionieren.

Dann passierte Leben und schließlich endete ich mit einem tiefen Glauben an die „Open“ Bewegung (OpenSource, OpenInformation, OpenLicencing, OpenEducation) und einem Studium der Informationswissenschaften. Es gab keine Stelle für meine Studienrichtung… Ich hatte mich auf digitale Archivierung spezialisiert. Die Archive waren noch lange nicht soweit, die Bibliotheken fingen gerade an sich mit Digitalisierung auseinanderzusetzen. …2008! … Tim Berners Lee schrieb sein Communication-Proposal (die erste Website) 1989, also das Jahr als die Mauer fiel. Wir hatten aus meiner Perspektive schon eine Generation verloren. Warum noch länger warten?

Also schrieb ich, da ich ja keine Stelle finden konnte und mich stark für die Vermittlung von medialen Inhalten interessierte, mein erstes Projekt, reichte es ein und gewann. So entstand Cyber4Kids. Und so begann mein Einstieg in eine vordefinierte, männlich dominierte Landschaft der Kulturarbeit, denn in die soziale oder Bildungs-Arbeit durfte ich mangels Abschluss nicht. Mit Ränkeschmieden, Vereinnahmungen und Lügen! Das hat mir keinen wirklichen Spaß gemacht. Ich wollte inhaltlich arbeiten, ich wollte was bewegen, mir war dieses ganze Politikum um Macht und Geld so was von egal.

Ich musste verteidigen, dass ich Kindern und Jugendlichen Informationskompetenz beibringen möchte, die sie nicht an ein vordefiniertes Ziel führt, sondern dass kompetente Kinder und Jugendliche selbständig entscheiden können, wenn sie genügend Informationen zur Entscheidungsfindung haben. Eine Grundkompetenz, nach der heute übrigens gejammert wird, weil die Gesellschaft und gerne auch Sachsen sie 2008 noch nicht als wichtig erachtete.

Und so ging es halt weiter… Menschen sehen Dinge, andere Menschen sagen Dinge und wieder andere Menschen tun Dinge… und am Ende merkst du einfach, mach es selbst und suche dir Mitstreiter*innen. Deswegen ging ich dann los und versuchte Netzwerke für Medienbildung aufzubauen, maßgeblich das in Dresden. Wir organisierten Fachtage und setzten uns mit Themen der Medienbildung im Bereich der Kinder und Jugendbildung auseinander. Das Jugendamt hat die Medienbildung in den Kinder- und Jugendschutz abgeschoben und nur mit dem Kulturamt ließ sich wirklich zusammen arbeiten.

Es gab keine Sockelfinanzierung für dieses wichtige Thema und aller Lobbyismus half wenig. Viel Ignoranz von Seiten der Administrator*innen und Entscheider*innen schlug mir/uns entgegen. Und wir waren so wenige. Dann fingen Kolleg*innen an das Bundesland zu verlassen, da die Lebensgrundlagen so schwierig waren und es außerhalb Sachsens Tätigkeitsfelder und Wertschätzung gab. Sachsen behauptete immer noch, dass die SAEKs für die Medienbildung von jungen Menschen ausreichend seien und verschlief eine gesellschaftliche Mediatisierung. Vereine, Freiberufler*innen wurden marginalisiert und mit zum Teil unglaublichen Honoraren abgespeist.

Mein Lieblingsbeispiel ist die Nachfrage für eine Lehrer*innenbildungsveranstaltung mit Vortrag, Materialien und Diskussionsrunde zum Thema „Neue Entwicklungen im Urheberrecht/Lizenzrecht und deren Einfluss auf die Grundschule“. Dafür hat mir die betreffende Stelle des Kultus 50 € Honorar geboten, weil die Veranstaltung ja nur 2 Stunden dauern sollte.

Also was bleibt? Menschen suchen, die offen sind (hier sind wir wieder bei „open“) und mit denen Projekte anstiften, die großartig sind. Dafür habe ich mit Kolleg*innen 2 medienpädagogisch wirkende gGmbHs gegründet. Wobei ich aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten das Medienbildungsinstitut leider wieder einschlafen lassen musste. Neben all der Bürokratie, dem Finanzamt, der Krankenkasse und anderen „Erwachsenenproblemen“ hat die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen unglaubliche Freude gemacht. Dafür hat sich das alles gelohnt!

Hörbücher, Filme, Spiele und Spielprogrammierung, Lehrer*innenfortbildung, Homepages mit Sozialarbeiter*innen bauen … Wie großartig und wie wertgeschätzt! … von den Teilnehmenden.

Naja, die Finanzfrage holt dich immer wieder ein. Nachdem ich von einer Mitarbeiterin vom Jugendamt aufgefordert worden bin, doch ein stadtweites Medienangebot einzureichen und ich Zeit und all mein Wissen über die Bildungslandschaft sowie Medienlandschaft habe einfließen lassen, wurde der einzige! vollmedienpädagogische Antrag vom Jugendhilfeausschuss abgelehnt. Von dem Gremium, dass sich um die Belange von Kinder und Jugendlichen kümmern und zu deren Wohl entscheiden soll. Leider ging es nur wieder darum, die eigenen Schafe ins Trockene zu bringen.

Das war der Punkt als ich beschloss, dass ich diesem Bundesland genug gegeben habe. Ich hatte genug davon, nicht zu wissen, ob ich die Miete bezahlen kann. Ich hatte genug davon, die letzte Woche im Monat Toastbrot und Nudeln zu essen, weil es billig ist! Ich hatte genug davon, Klinken zu putzen und eine 60 Stunden Woche zu haben. Ich werde gehen und ich werde erst mal nicht in Deutschland bleiben, ich brauche Sinn und keine Windmühlen.

Deswegen bin ich in die Entwicklungshilfe gegangen und arbeite als Beraterin für Medienbildung, Wissensmanagement und spielbasierte Bildung. Erst in Kamerun als Freiberuflerin, dann in Liberia und jetzt auf den Philippinen. Es ist immer noch die Arbeit einer „Einzelkämpferin“, aber es gibt hier ein paar mehr von meiner Sorte… Diese Leute mit Träumen und Visionen und einem kreativen Hang, Dinge auszuprobieren und zu tun.

Schlussendlich sind Einzelkämpfer*innen nur Träumende mit dem Hang dazu, den Traum wahr werden lassen zu wollen.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen bzw. was gehen Sie an, um diesen Zustand zu ändern?

Ich würde mir Wertschätzung und Offenheit wünschen und das die Korruption in den Gremien aufhört. Es ist interessant für mich, dass wir anderen Ländern Korruption vorwerfen und sie in Deutschland aber nicht wirklich bekämpft wird. Ich wünsche mir, dass mehr auf die wirklichen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen geschaut wird. Das Kinder und Jugendliche an allen! gesellschaftlichen Belangen beteiligt werden und dass Medienbildung keine Nische mehr ist, sondern als Grundbildung angesehen wird, damit genau solche Phänomene, wie wir sie heute verzeichnen, uns nicht überrollen.

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