
Finanzierung der Jugendarbeit in Sachsen
Hier finden Sie die vollständige Fassung der Beschwerde zum Beitrag „Finanzierung der Jugendarbeit in Sachsen. Eine kritische Betrachtung“ von Maik Friedrich in der CORAX-Ausgabe 5&6/2023.
Absender:
XXX
Landesdirektion Sachsen
XXX
Adresse
Beschwerde gegen Förderpraxis des Landkreises gegenüber anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit
Sehr geehrte Damen und Herren,
bezugnehmend auf die Kürzungen in der Jugendarbeit im XXX legen wir Beschwerde ein und bitten um Einflussnahme bzw. Korrektur der bisherigen Förderpraxis im Landkreis XXX.
Begründung:
Die Förderrichtlinie Jugendarbeit des Landkreises entspricht nicht den Vorgaben des 8. Sozialgesetzbuches. In § 74 SGB VIII ist formuliert, dass für die Träger der freien Jugendhilfe die gleichen Maßgaben wie für den öffentlichen Träger der Jugendhilfe gelten sollen (vgl. § 74, Absatz 5, Satz 2 SGB VIII). Soll ist in der Rechtsprechung ein hoher Verpflichtungsgrad von dem nicht abgewichen werden kann. In der FRL Jugendarbeit werden die förderfähigen Personalkosten für MitarbeiterInnen der Träger der freien Jugendhilfe unterhalb der tariflichen Vereinbarungen des TvÖD beschränkt. Somit ist eine angemessene Vergütung und Gleichstellung der MitarbeiterInnen (mit den MitarbeiterInnen des örtlichen Trägers der Jugendhilfe) in den Organisationen nicht möglich. Dies widerspricht nicht nur der Formulierung im § 74 SGB VIII, sondern auch dem Gleichheitsgrundsatz (vgl. Artikel 3 GG).
Ebenfalls unangemessen und gegebenenfalls rechtswidrig ist die Beschränkung der förderfähigen Kosten auf max. 50 %, die der Landkreis nach der Förderrichtlinie trägt. In diesen Fällen wird die Finanzierung der Jugendarbeit in das Belieben von Kommunen gestellt. Das hat zur Folge, dass bei Nicht- oder nicht ausreichender Beteiligung einer Kommune, kein Angebot der Jugendarbeit vorgehalten wird, da der Landkreis (mit seinem örtlichen Träger der Jugendhilfe) maximal 50 % finanziert und erwartet, dass die Träger der freien Jugendhilfe die verbleibenden Kosten selbst tragen. § 74 SGB VIII gibt jedoch vor, dass die Träger der Jugendhilfe einen angemessenen Anteil an Eigenleistungen erbringen sollen. Berücksichtigt werden sollen dabei die finanziellen, als auch sonstigen Verhältnisse der freien Träger (vgl. § 74 Absatz 1 Nr. 4, Absatz 3 Satz 3 SGB VIII). Mit Blick auf die nach Richtlinie zu erbringenden Eigenmittel (3 % bei den Personalkosten, 10 % bei den Sachkosten) wird eine Pauschalierung vorgenommen, die einer kritischen Prüfung nicht standhält. Diese Regelung verstößt gegen die Gesetzesnorm in § 74 Absatz 1, Nr. 4 und Absatz 3, Satz 3, SGB VIII. Somit übernimmt der öffentliche Träger der Jugendhilfe nicht einmal mehr 50% der entstehenden Kosten in der Jugendarbeit, obwohl er nach § 79 SGB VIII die Gesamtverantwortung trägt (vgl. § 79, Absatz 1, SGB VIII).
Mit den rechtswidrigen Begrenzungen bzw. der Höhe der zu erbringenden Eigenmittel gefährdet der Landkreis ebenso seine Gewährleistungspflicht. Er ist verpflichtet, die notwendigen Einrichtungen und Dienste ausreichend, rechtzeitig und plural zur Verfügung zu stellen (vgl. Kunkel 2011, S.2; § 79, Absatz 2, Nr. 1 SGB VIII). Diese Gewährleistungsverpflichtung ist im Landkreis nur noch punktuell gegeben und wird in einigen Kommunen nicht mehr vorgehalten.
Darüber hinaus stellt der örtliche öffentliche Träger permanent nur beschränkt vorhandene Haushaltsmittel als Sach- und Entscheidungsleitendes Argument in den Vordergrund. Eine Ermessensentscheidung „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ ist zu treffen (§ 74 Abs. 3 Satz 1 SG B VIII). Bei wörtlicher Auslegung würde dies bedeuten, dass eine Maßnahme nicht oder nur unzureichend gefördert werden kann, wenn Haushaltsmittel nicht oder nur unzureichend zur Verfügung stehen. Diese Auslegung widerspräche der Fundamentalnorm des § 79 SGB VIII, wonach alle Aufgaben – also auch die Jugendarbeit – bedarfsgerecht zu erfüllen sind. Eine systematische Auslegung des § 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ergibt daher, dass Haushaltsmittel in der Höhe zur Verfügung zu stellen sind, sodass alle Aufgaben erfüllt werden können. „I.v.m. § 79 SGB VIII ist daher § 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII als ‚normatives Gerundiv‘ zu verstehen“ (Kunkel, Kepert, Pattar, 2018, S. 985, Rn 30).
Ebenfalls als kritisch zu betrachten ist die beschlossene Richtlinienanpassung der Richtlinie zur Förderung der Kinder- und Jugendarbeit im ländlichen Raum; Kommunale Kinder- und Jugendpauschale Landkreis XXX. Mit dieser gewährt der Landkreis, als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe, Zuwendungen zur Erfüllung von Aufgaben der Jugendarbeit im ländlichen Raum, ohne geförderte Planstellen. Mit Wirkung vom XXX wurde die Richtlinie u. a. dahingehend angepasst, dass die o.g. Förderung gleichrangig zur Bezuschussung der in der Teilfachplanung verankerten jugendhilfeplanerisch relevanten Strukturen erfolgt und damit in ihrer Förderpriorität den hauptamtlichen Strukturen gleichgestellt ist. Diese Pauschale entspricht nicht den Grundsätzen des SGB VIII. Zum einen wird damit das Fachkräftegebot unterminiert und zum anderen werden jegliche Qualitätsansprüche an die Jugendhilfe ad absurdum geführt. Finanzielle Mittel werden demzufolge zweckentfremdet den Vorstellungen einzelner Kommunen unterworfen und die Vorgaben des SGB VIII ignoriert. Eine Gleichstellung mit professionellen Angeboten kann bereits aus Gründen des Subsidiaritätsgebotes nicht möglich sein. Bei Kommunen handelt es sich keinesfalls um Träger der freien Jugendhilfe, dazu fehlt es ihnen an wesentlichen Merkmalen. Außerdem erfüllen sie nicht die Anforderungen die in § 74 SGB VIII abschließend aufgeführt sind (Münder, Meysen, Trenczek, S. 951, Rn 6).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Urteilen bereits darauf hingewiesen, dass eine Praxis welche die Träger der freien Jugendhilfe derart benachteiligt, unzulässig ist (vgl. BVerwG 5 C 25.07). Dies gilt besonders für die Höhe der Förderung und die Personalkosten welche durch die Übernahme (durch Träger der freien Jugendhilfe) der Aufgaben des Jugendamtes entstehen. Dennoch beharrt der Vogtlandkreis auf dieser Verfahrensweise.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Träger der freien Jugendhilfe noch gewillt auf ein Verfahren vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zu verzichten. Sollte es jedoch nicht möglich sein, diese rechtswidrige Form der Finanzierung anzupassen, werden die Träger der freien Jugendhilfe unter Beiziehung ihrer Rechtsbeistände feststellen lassen, wie eine dem SGB VIII entsprechende Förderung gestaltet werden muss. Sie werden dafür sorgen, dass sich der Landkreis an die Gesetzesvorgaben der Bundesrepublik Deutschland hält.
Mit freundlichen Grüßen
Vorname Name
Quellen:
BVerwG, Urteil vom 17.07.2009 – 5 C 25.08 In: www.bverwg.de/170709U5C25.08.0, Nr. II, Abs. 31 ff. (abgerufen am 15.12.2023)
Kunkel Peter-Christian; Kepert Jan; Pattar, Andreas Kurt (2018): Sozialgesetzbuch VIII. Kinder- und Jugendhilfe. Lehr- und Praxiskommentar. Wiesbaden: Nomos
Kunkel, Hans Peter (2011): Gutachten zur Finanzierung der Jugendarbeit nach § 74 SGB VIII. Rechtsfehler und Rechtsbehelfe. In: https://docplayer.org/6519957-Gutachten-zur-finanzierung-der-jugendarbeit-nach-74-sgb-viii-rechtsfehler-und-rechtsbehelfe.html (abgerufen am 15.12.2023)
Münder, Johannes; Meysen, Thomas; Trenszek, Thomas; (2022): Frankfurter Kommentar SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe. 9., vollständig überarbeitete Auflage. Baden-Baden: Nomos
SGB VIII, 8. Buch Kinder- und Jugendhilfe in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 10 Absatz 10 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618)